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Beitrag vom 05.06.2005
Tony Takitani
Tatjana Zilg
Die Adaption einer Erzählung des japanischen Autors Haruki Murkami besticht durch stimmungsvolle Bilder und sanfter Storyline. Einsamer Designer verliert die mühsam eroberte Liebe seines Lebens
Schönheit kann verführen, besinnlich stimmen und Bewunderung hervorrufen, aber auch kühl und fordernd sein. Diese Erfahrung beherrscht das Schicksal der beiden HauptprotagonistInnen des melodramatischen Filmes.
Zu den ersten Lebenserfahrungen von Tony Takatini (Issey Ogata) gehört die grenzenlose Einsamkeit. Seine Mutter starb wenige Tage nach seiner Geburt und sein Vater verbrachte mehr Zeit mit seiner Jazzband als mit seinem Sohn. Dem Kind gelingt es, die depressive Seite der Einsamkeit zu verdrängen, indem es sie als gegeben hinnimmt. Später als Erwachsener gestaltet er sein Leben unter der Vermeidung von großen Gefühlsbewegungen.
Glücklicherweise ist Tony mit einem hohen künstlerischen Talent ausgezeichnet. In der Schule wird er zwar wegen des geringen emotionalen Ausdrucks seiner Bilder kritisiert, dennoch gelingt ihm ein erfolgreicher beruflicher Aufstieg als selbstständiger Illustrator. Als er der 15 Jahre jüngeren Eiko (Rie Miyazawa) begegnet, verändert sich plötzlich seine Innenwelt. Ihre durch sich perfekt anschmiegende Kleidung betonte Grazilität fasziniert ihn vom ersten Moment an, wo er sie als Kundin in seiner Agentur erblickt.
Die zierliche Frau ist den scheuen Annäherungsversuchen des ernsten Mitvierzigers recht aufgeschlossen. Als er ihr einen Heiratsantrag macht, lehnt sie zwar erst ab, da sie schon einen Freund habe. Tony ist völlig aufgewühlt, die jahrelang verschüttete Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit bricht erbarmungslos aus. Von diesen tiefen Gefühlen sehr beeindruckt, gibt Eiko nach und zieht nach der Hochzeit zu ihrem überglücklichen Gatten.
Doch was ihn zuvor besonders zu Eiko hinzog, wird allmählich zum Verhängnis: Sie ist süchtig nach den perfekten Kleidern, die sich hauchzart an ihren Körper schmiegen und sie zu einer einzigartigen Schönheit werden lassen. Immer mehr Zeit und Geld verbringt sie in Edel-Boutiquen, um unzählige Designerstücke einzukaufen, die bald ein großes Zimmer im Haus füllen. Tony ist zunehmend verwirrt von der Obsession seiner Angebeteten. Er ersucht sie um ihrer Liebe willen, die Einkaufstrips zu reduzieren. Eiko ringt sich tatsächlich dazu durch, einige Stücke in eine Boutique zurückzubringen. Aber die Erinnerung an diese drängt sich mit aller Macht in ihr Denken, so dass sie bei der Heimfahrt in einen tödlichen Autounfall gerät.
Es gelingt Tony nicht mehr, seine Gefühle wieder zu verschließen und er gerät in einen Strudel der Trauer, des Verlustes und der Selbstvorwürfe. Die seltsame Fixierung auf die Bekleidungsobjekte überträgt sich auf ihn, so dass er schließlich versucht, seine Trauer zu überwinden, indem er die junge Frau Hisako, die aus ärmlicheren Verhältnissen stammt, einstellt, damit sie um ihn ist, während sie die Kleider seiner verstorbenen Frau trägt. Das Vorhaben ist nicht realisierbar, Hisako wird überwältigt von dem Anblick der Kleider und erspürt gleichzeitig den Schmerz, der im Zimmer verborgen ist. Als er sie in Tränen aufgewühlt dort vorfindet, schenkt Tony ihr einen Teil der Kleider und lässt sie wieder gehen.
Regisseur Jun Ichikawa kreierte für die filmische Umsetzung der Erzählung von Haruki Murkami eine besondere Bildsprache: "In der Bildkomposition habe ich vielfach leere Flächen im Hintergrund eingesetzt - was an die Gemälde von Edward Hopper erinnert. Für die Aufnahmen habe ich eine recht einfache Theaterbühne aufgebaut, die ich dann für den größten Teil des Films verwendete. Nur die Kameraeinstellungen und die Kostüme wurden fortwährend verändert. Um die Kontraste abzumildern, wurden die Farben reduziert. Am Ende ist dabei ein Film entstanden, der sich deutlich von meinen früheren Werken unterscheidet - mit einem sehr, sehr eigenen Stil." Durch die Reduzierung der Farben und die großflächig wirkenden Sequenzen überträgt sich das komplexe Thema der Einsamkeit und Entfremdung, das viele von Murakamis Werke bestimmt, auf den Zuschauer/die Zuschauerin.
Dem weltweit sehr bekannten Autor gelang 1978 mit dem skurrilen Science-fiction- und Detektivroman "Wilde Schafsjagd" der Durchbruch. Kurz darauf zog er mit seiner Frau nach Europa und lebte dort in Frankreich, Italien und Griechenland. Er schrieb zahlreiche Romane, die fast alle in seinem Heimatland Japan spielen. Erst 1995, dem Jahr des schweren Erdbebens von Kobe und des Anschlags der Aum-Sekte auf die Tokyoter U-Bahn, kehrt er nach Japan zurück.
AVIVA-Tipp: Kaufsucht nach Designerklamotten wirkt auf dem ersten Blick als Thema für einen aktuellen Kinofilm leicht anmaßend. Die Zuschauerin stellt sich die Frage, ob es tatsächlich noch vorkommt, dass eine Frau ihre Identität über teure Bekleidung konstruiert. Doch auf dem zweiten Blick rückt die Thematisierung des Wechselspiels zwischen selbstgewählter Einsamkeit und des Wagnis des Ausbruchs aus dieser in den Vordergrund. Ein Mensch, der sich von seinesgleichen zurückzog, versucht über die Fokussierung auf leblose Objekte den Zugang zum Anderen wiederzufinden. Als dieses erreicht ist, werden die Objekte für ihn überflüssig. Aber auch sein Gegenüber hat sich in den Zwiespalt von Ichbezogenheit und Sehnsucht nach Beziehungen verfangen. Die Macht des Schicksals lässt sie nicht entkommen.
Tony Takitani
Drehbuch/Regie: Jun Ichikawa
nach einer Erzählung von Bestseller-Autor Haruki Murakami
DarstellerInnen: Issey Ogata, Rie Miyazawa, Shinohara Takahumi
Japan 2004
Dauer: 75 Minuten
Kinostart: 09.06.2005
Verleih: www.alamodefilm.de
www.tonytakitani.com
Die Erzählung "Tony Takitani":
Haruki Murakami, Tony Takitani
aus dem Japanischen von Ursula Gräfe
ISBN 3-8321-7935-6
im DuMont Literatur und Kunst Verlag200291044675"